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Lucrezia Cippitelli und Simone Frangi. Das neue Kurator*innenduo für zeitgenössische Kunst bei Kunst Meran Merano Arte

Der Vorstand und die Direktion von Kunst Meran Merano Arte haben Lucrezia Cippitelli und Simone Frangi zum neuen Kurator*innenteam für Ausstellungen zeitgenössischer Kunst im Kunsthaus ernannt.

Die beiden haben die Position von ihrer Vorgängerin, Judith Waldmann, übernommen und werden der Presse am Donnerstag, 9. November, um 10.30 Uhr die Inhalte ihres Programms und ihrer dreijährigen Tätigkeit – die mit 1. September gestartet ist – im Kunsthaus vorstellen.

Simone Frangi und Lucrezia Cippitelli verfügen über umfassende Erfahrung in den Bereichen akademische Forschung, Kuratieren von Ausstellungen, Kunstvermittlung und Kunstkritik und haben in ihrem Dreijahresplan kuratorische Theorie mit kuratorischer Praxis kombiniert. Das Grundverständnis ihrer Arbeit beruht auf einer stark antikolonialistischen, intersektionalen Ausrichtung und auf dem prozessorientierten, ortsspezifischen Arbeiten in der Kunst.

Vor dem Hintergrund unserer hochkomplexen Gegenwart ist die Arbeit von Künstler*innen nicht nur das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Reflexion von Ausstellungsmacher*innen und Kunstschaffenden, sondern auch das von Gestaltungswillen, Institutionen und Räumen (als physische, historische, kulturelle und menschliche Orte). „Wir interessieren uns für das konkrete Arbeiten in Funktion des physischen Ausstellungsraumes, verstanden als einen bewohnbaren Raum mit spezifischen zeitlichen, geografischen und sozialen Koordinaten. Wie in all unseren Projekten werden wir uns mit dem weiteren Umfeld eines konkreten Ortes auseinandersetzen, Handlungsfelder und Wege ausfindig machen und erörtern, wie wir mit den verschiedenen Publika Ideen und Recherchen bestmöglich vertiefen können. Dabei gilt es, die Besucher*innen nicht als abstrakte, einheitliche Gruppe zu betrachten, sondern als unterschiedliche Gemeinschaften bestehend aus Individuen mit bestimmten Erwartungen, Bedürfnissen, Interessen, Fähigkeiten und Vorstellungen. Das Ziel unserer Tätigkeit für Kunst Meran Merano Arte ist der Aufbau eines lokal, national oder international beliebig erweiterbaren Netzwerks von Künstler*innen, welches einen transmedialen Zugang beinhaltet, das Audiovisuelles, Klangliches, Performatives und Installatives – immer in Zusammenhang mit ethischem Denken – zum Ausdruck bringt.“

Cippitelli und Frangi überzeugten die aus Vorstand und Direktion von Kunst Meran Merano Arte bestehende Kommission mit ihrer Bewerbung und ihrem äußerst klaren Vorschlag einer konkreten (Neu-)Kontextualisierung globaler Fragen im künstlerischen und sozialpolitischen Rahmen mit starker Verbindung zur Realität heute.

Der vorgeschlagene Dreijahresplan – „L’invenzione dell’Europa. Una narrativa tricontinentale“ – ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Vorstellung eines einheitlichen, monolithischen Europas und seines damit einhergehenden essentialistischen Selbstverständnisses. Den Ausgangspunkt bildet das mehrsprachige Gebiet zwischen dem „modernen“ Italien und Österreich, deren Gemeinschaften im Laufe der Jahrhunderte ohne große Rücksicht auf die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort von unterschiedlichen, teils gegnerischen politischen und wirtschaftlichen Kräften regiert wurden. Der Projekttitel ist angelehnt an „The Invention of Africa“ des kongolesischen Philosophen Yves Valentin Mudimbe und ist ein Blick auf die Erfindung Europas nicht nur als ideologisches Gebilde, das seit der Renaissance von innen wie von außen aufgebaut wurde, sondern auch als materielle Realität, die die Grenzen nicht zuletzt dank des Kolonialismus, Extraktivismus und epistemischer Gewalt gezogen hat. Das Ergebnis ist die Schuldlast, die Europa noch heute gegenüber drei im sogenannten „Globalen Süden“ verorteten Kontinenten trägt: Afrika, Abya Yala – so nennen die indigenen Völker den amerikanischen Kontinent – und Asien. Das erste Jahr (2024/2025) ist der Beziehung zwischen Europa und Afrika gewidmet. Im Mittelpunkt stehen europäische und afrikanische Künstler*innen bzw. Vertreter*innen der afrikanischen Diaspora in Europa – mit Schwerpunkt auf in Italien und Österreich tätigen Kunstschaffenden. Die Folgejahre 2025/2026 und 2026/2027 stehen jeweils im Zeichen des Verhältnisses zwischen Europa und Abya Yala bzw. Europa und Asien.

Martina Oberprantacher, Direktorin von Kunst Meran, hält fest: „Das Niveau der Bewerbungen war insgesamt außerordentlich hoch. Was uns an Cippitelli und Frangi überzeugt hat, war ihr besonderes Gespür für wichtige soziale und politische Fragen auf ästhetischer wie auch intellektueller Ebene. Ihr kuratorischer Zugang ist nie zufällig gewählt, sondern beruht vielmehr auf sorgfältiger Recherche und einem aufrichtigen Engagement für Kunst und Soziales mit besonderem Augenmerk auf Kunstvermittlung. Die beiden arbeiten eng mit Künstler*innen zusammen und begleiten sie auch im Schaffensprozess – dadurch gewinnt Kunst Meran Merano Arte tiefere Einblicke in die Entstehung von Werken und kann diese mit den Publika diskutieren und verhandeln. Mir ist es ein besonderes Anliegen, eine engere Verbindung zwischen Produktion, Ausstellung und Vermittlung zu fördern und diese nicht als getrennte Einheiten wahrzunehmen.“

Die Direktorin zeigte sich überdies „erfreut über die Chance, gemeinsam mit dem kuratorischen Duo und dem Team – Anna Zinelli, Simone Bacher, Shpresa Perlaska, Filippo Contatore, Helga Pichler, Hannes Egger, Anna Gabrielli und Barbara Wielander – die abteilungsübergreifende Arbeit innerhalb des Kunstvereins zu stärken. Die Projekte von Kunst Meran Merano Arte werden wie gewohnt von sich reden machen und Diskussionen anstoßen – im Kunsthaus selbst wie auch außerhalb.“

BIOGRAFIEN

LUCREZIA CIPPITELLI (Rom, 1974), Ph.D, Forscherin und Kuratorin, Co-Direktorin von Arthub. Sie war zuletzt künstlerische Leiterin von Ateliers Picha (Demokratische Republik Kongo, 2019-2022), einem langfristigen ortsspezifischen Bildungsprogramm der Organisation Picha (ein Zusammenschluss von Künstler*innen, die sich für die Biennale von Lubumbashi verantwortlich zeichnen), und Kuratorin der 7. Biennale von Lubumbashi. Sie kuratierte die Biennale „Interactiva“ (Merida, Mexiko, 2005 und 2007) und die 2. Biennale von Bucaramanga, „Desde aqui“ (Kolumbien, 2015). Die Schwerpunkte ihrer Forschung und kuratorischen Arbeit sind radikale Bildung, DIY-Kultur, Ortsspezifik und Kollektivität, mit besonderem Augenmerk auf die Epistemologie des globalen Südens. Cippitelli arbeitete maßgeblich am Aufbau eines Medienlabors in Havanna (Alamar Express Lab, zusammen mit Omni Zonafranca, Kuba, und Inventati, Italien, 2005-2007), eines Workshops für ortsspezifische Kunstproduktion in Khartoum (Khartoum Art Lab, Sudan, 2010-2012) und eines Masterstudiums für Visual Arts an der Alle School of Arts and Design – Universität Addis Abeba (2011-2016) mit. Lucrezia Cippitelli ist Professorin für Ästhetik an der Akademie Brera, Mailand, und kuratierte kürzlich die Ausstellung „Sammy Baloji. K(C)ongo, Frammenti di dialoghi intrecciati. Classificazioni sovversive“ (Uffizien, Florenz 2022) und „Georges Senga, Comment un petit chasseur païen devient prêtre catholique“ (Museo delle Civiltà, Rom, 2022). Parallel dazu hat sie als Co-Autorin im Buch „Colonialità e Culture Visuali in Italia“, Mimesis 2021, mitgewirkt.

SIMONE FRANGI (Como, 1982) ist Forscher, Kurator und Kunstkritiker. Er hat ein Doktorat in Philosophie – Ästhetik und Kunsttheorie an den Universitäten Bourgogne – Dijon (FR) und Palermo (IT) sowie einen philosophischen Aufbaustudiengang in kritischer Gesellschaftstheorie an der Università degli Studi in Mailand – Bicocca absolviert. Von 2013 bis 2017 war Frangi künstlerischer Leiter von Viafarini (Mailand, IT). Seit 2013 leitet er gemeinsam mit Barbara Boninsegna Live Works – Free School of Performance an der Centrale Fies (Dro, Trient, IT). Für dieselbe Einrichtung arbeitete er gemeinsam mit Mackda Ghebremariam Tesfau' (Razzismo Brutta Storia) und Justin Randolph Thompson (Black History Month Florenz) an der Entwicklung und Gründung des Agitu Ideo Gudeta Fellowship. Seit 2014 leitet er mit Alessandro Castiglioni die nunmehr vierte Ausgabe des nomadischen Ausbildungsprogramms für Kurator*innen „A Natural Oasis?“ im Mittelmeerraum. Seit 2013 ist er Professor für Kunsttheorie und visuelle Kultur an der ESAD – Academy of Fine Arts and Design in Grenoble (FR), wo er zusammen mit Katia Schneller die Forschungsgruppe „Hospitalité Artistique et Activisme Visuel: pour une Europe diaporique et post-occidentale“ (2025 – laufendes Projekt) gegründet hat. Ebenfalls mit Katia Schneller gründete er das Festival des Gestes de la Recherche (4. Ausgabe 2023), das derzeit von Le Magasin – Centre National d'Art Contemporain (Grenoble) ausgerichtet wird. Im Jahr 2015 war er unter den fünf Kurator*innen der 10. Ausgabe des Furla-Preises für zeitgenössische Kunst, 2016 unter den zehn Kurator*innen der 16. Quadriennale von Rom. 2018 war er mit dem Projekt „Somatechnics. Transparent travelers and obscure no-bodies“ Gastkurator am Museion, Bozen (IT). 2021 war er Teil des leitenden Kuratorenteams der „School of Waters – MEDITERRANEA19“, 2022 Ko-Kurator der 26. Ausgabe des Premio Nazionale Arti Visive Gallarate am MA*GA und Nominator für den MAXXI BVLGARI PRIZE 2022. 2021 war Frangi Tutor des Programms VERSO der Stiftung Fondazione Sandretto Re Rebaudengo (Turin, IT) und ist derzeit Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses des europäischen Projekts DE.a.RE – Deconstruct and Rebuild (2022-2024). Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen gehören: „Colonialità e Culture Visuali in Italia“ (mit Lucrezia Cippitelli, Mimesis, 2021) und „School of Waters. The Book“ (mit Alessandro Castiglioni, Archive, 2021).

Lucrezia Cippitelli, Simone Frangi. Foto Lucas Batliner