Sepp Mall: Hoch über allem
28.09.2017, 20:00 Uhr
Ein junges Paar, Jakob und Marilyn. Eigentlich heißt sie Maria, aber irgendjemand hat ihr diesen Namen verpasst und er ist geblieben. Ein Studentenpaar im Wien der 70er Jahre, frisch verliebt, der erste Kuss mitten in einer Demonstration gegen das Wiederaufleben der braunen Brut, eine erste Nacht in Marilyns Zimmer, ein langsames Sich-Annähern zweier unterschiedlicher Seelen, es könnte immer so weitergehen.
Bis eines Tages etwas passiert, ein Unfall, an dem Marilyn beteiligt ist, ein Kind, das zu Schaden kommt. „Ich habe etwas Schlimmes gemacht“, sagt Marilyn und kommt nicht mehr zur Ruhe. Jakob verspricht ihr, sie nicht alleine zu lassen, aber trotzdem gerät das Leben der zwei Liebenden vollkommen durcheinander.
Sepp Mall erzählt in seinem neuen Roman von Liebe und Verlassensein, von den Sicherheiten, die einem von einem Tag auf den anderen abhandenkommen, zeigt gleichzeitig aber auch, wie die Scherben eines Lebens behutsam wieder zusammengefügt werden können.
Sepp Mall, 1955 geboren, lebt und arbeitet in Meran als Autor und Lehrer, mitunter Herausgeber und Übersetzer aus dem Italienischen. Er ist mit dem Lyrikpreis Meran ausgezeichnet worden, mit dem Österreichischen Staatsstipendium und jüngst mit dem Großen Literaturstipendium des Landes Tirol. Zuletzt: Schläft ein Lied (Gedichte, 2014), Berliner Zimmer (Roman, 2012), Wo ist dein Haus (Gedichte, 2007)
„Es ist nichts passiert“, sagte Marilyn, fast zu laut für die Stille des Zimmers, für die späte Stunde, dieser Eindruck war plötzlich wieder da in Jakobs Kopf. „Es ist nichts passiert“, sagte sie, „wir können gleich gehen.“
Sie hatte nur ihre Lippen bewegt, ihre Augen und der Rest ihres Gesichts waren starr und beinahe ausdruckslos geblieben. Auch als Jakob seine Hand auf Marilyns Wange legte, wollte sie ihn nicht ansehen. Sie wiederholte noch einmal, dass nichts passiert sei, gar nichts, und sie in der nächsten Sekunde das Krankenhaus verlassen könnten.