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„Luoghi del Moderno – Klares Bauen 1920-1950”: Eine internationale Recherche über rationalistische Architektur

07.02.2018, 19:00

7. Februar um 19.00 Uhr

„La Fabbrica del Tempo/Die Zeitfabrik“ schlägt ein neues Kapitel der Architekturforschung auf. Seit Jahren befasst sich der Südtiroler Kulturverein mit dem Rationalismus, weckt dadurch die Neugierde Architektur- und Geschichtsinteressierter und die Aufmerksamkeit der lokalen Medien. Verschiedene Seminare, eine Ausstellung und eine Buchveröffentlichung sind der Beweis dafür. Das erste Buch wurde 2015 dem privaten rationalistischen Bauwesen im Bozen der 1930er-Jahre gewidmet. Das nun erscheinende trägt den signifikanten Titel „Luoghi del Moderno – Klares Bauen 1920-1950“. Die Entstehung des Bandes wurde von Tiziano Rosani, Marina Mascher und Patrick Rina koordiniert und von Ulrike Kindl wissenschaftlich begleitet. Das Buch beinhaltet Beiträge in italienischer und deutscher Sprache. Der „Fabbrica del Tempo/Zeitfabrik“ ist es gelungen, die Mitarbeit namhafter Fachleute und Dozenten verschiedener italienischer und ausländischer Hochschulen und Universitäten zu gewinnen. Der Band will – ausgehend von der in Südtirol vorhandenen rationalistischen Architektur – den Blick auf Italien und Europa erweitern und analysiert somit die verschiedenen Verzweigungen und Verbindungen der modernen Architektur zwischen 1920 und 1950.

Die Vorstellung dieser neuen Veröffentlichung der „Fabbrica del Tempo/Zeitfabrik“ sieht zwei Termine vor: am Donnerstag, 25. Jänner um 18.30 Uhr im großen Saal im zweiten Stock des Palais Rottenbuch, Abteilung Denkmalpflege, in der Armando-Diaz-Straße Nr. 8 in Bozen und am Mittwoch, 7. Februar um 19.00 Uhr bei Kunst Meran in Meran.

Das Buch „Luoghi del Moderno - Klares Bauen 1920-1950“ beschäftigt sich mit einigen Aspekten des Rationalismus, d.h. der architektonischen Moderne, mit deren Ursprüngen, Entwicklungen und Ausgestaltungen in verschiedenen europäischen Ländern. Es wird gezeigt, dass diese Bewegung eine der relevantesten und wirkungsvollsten des letzten Jahrhunderts war. Das Buch soll auch als Anregung dienen, Südtirols Architekturgeschichte zu reflektieren. Der Wert des architektonischen Rationalismus ist heute weltweit anerkannt. In Europa und einigen außereuropäischen Ländern ist eine fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Werk jener Architekten im Gange, die den Baustil der klassischen Moderne geprägt haben. Das Erbe vergangener Zeiten zu bewahren und kritisch zu bewerten ist ein Zeichen geistiger Reife. Das Fehlen einer langfristigen und historischen Perspektive – es ist mit Sicherheit leichter, einem jahrhundertealten Bau den Wert des Kulturguts zuzuschreiben, als einem Gebäude aus jüngerer Zeit – kommt der kritischen Aufnahme eines solchen Erbes nicht zugute. Die aktuelle Herausforderung besteht in der Förderung einer kritischen Blickweise, vor allem in Bezug auf die Schutzmöglichkeiten rationalistischer Architektur. Das Buch ist dem Gebot verpflichtet, sich dem schwierigen Prozess der Auseinandersetzung mit (und der Bewahrung von) baulichen Zeugnissen der Geschichte zu stellen.

 

Die Themen des Buches

Die moderne Bewegung in der Architektur entstieg gleichsam phönixhaft dem vom Ersten Weltkrieg zerstörten Europa. Sachlichkeit, Beständigkeit, Eleganz klarer Linien: die „Propheten“ des Rationalismus waren auf der Suche nach Entwürfen für funktionelle Gebäude und moderne Städte. Diese Suche diente auch der Gestaltung der Zukunft. Reine, lineare Formen galten als Leuchttürme, die den Weg hin zu einer neuen, gerechten Gesellschaft weisen sollten. Das war das eigentliche Ziel des „rationalistischen Traumes“. Die Väter des internationalen Rationalismus, Le Corbusier (1887-1965) und Walter Gropius (1883-1969), wollten Räume für eine moralisch gefestigte Menschheit schaffen, die in der Lage sein sollte, eine neue politische und soziale Ordnung zu gründen. Die Bewegung geriet sehr bald in den Zangengriff rechter und linker Ideologien. Totalitäre Herrschaftssysteme bedienten sich der funktionellen Ideen und der inhärenten Schönheit architektonischer Entwürfe mit klaren Linien. Weder der Faschismus noch der Sowjetkommunismus konnten aber die nachgerade ethische Botschaft der modernen Architekturbewegung auslöschen.

Das Buch „Luoghi del Moderno – Klare Linien“ greift die Debatte über die Rolle der Moderne in der Architektur auf. Es beleuchtet sowohl die europäische Dimension des Rationalismus als auch die Südtiroler Besonderheiten. Der Band wird von den programmatischen Fachbeiträgen über die Definition von „Funktionalismus”, „Rationalismus” und „Projektkultur“ eingeleitet. Der Hauptteil des Bandes ist gewissermaßen einem europäischen Rationalismus-Panorama gewidmet, umfasst Beiträge über Deutschland, Frankreich, Österreich und die Schweiz, behandelt aber auch die Situation in der ehemaligen Sowjetunion, in den Balkanländern und jene in der einstigen italienischen Kolonie Eritrea, deren Hauptstadt Asmara italienischen Architekten als „Versuchslabor“ für Bauvorhaben diente. Auch der atypische Fall der architektonischen Moderne Englands wird im Buch thematisiert. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Phänomen des sozialen Bauwesens in den Fünfziger und Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts gewidmet, welches im Geiste des funktionellen Rationalismus entstand. Das Buch setzt sich auch mit der Unterschutzstellung der „Arte povera“ auseinander.

 

Ulrike Kindl (Em. Prof. Università Ca’ Foscari Venedig) eröffnet mit ihrem Essay „Luoghi del Moderno – Klares Bauen“ den Reigen der Beiträge; Ute Poerschke (Pennsylvania State University) erklärt in ihrem Aufsatz mit dem Titel „Ringen um Worte, Klärung der Ideen: Rationalismus und Funktionalismus“ die Fachterminologie; Federica Dal Falco (Università Roma La Sapienza – Fachbereich Planung, Design, Technologie in der Architektur) beschreibt „Il design integrale del Razionalismo italiano“, gesehen als Gesamtheit der Stile der römischen Projektkultur zwischen Tradition und Moderne; Ulrike Kindl beschäftigt sich auch mit dem Bauhaus, der zweifellos bedeutendsten Schule der architektonischen Moderne („Modell Bauhaus: Anspruch und Wirklichkeit einer Idee“); Harald Stühlinger (Fachhochschule Nordwestschweiz – Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik) unterstreicht mit seinen drei Beiträgen „Le Corbusier et al. – Der französische Beitrag zur architektonischen Moderne“,Das Land der zwei „Modernen“: Funktionalistische Architektur im Österreich der Ersten Republik“ und „Geburtshelfer der Moderne: Der schweizerische Beitrag zur funktionalistischen Architektur“ die Entwicklung und Entfaltung des Rationalismus in Frankreich, Österreich und der Schweiz; Alessandro De Magistris (Politecnico di Milano – Fachbereich Architektur und Städtebau) untersucht die sowjetrussische Avantgarde in seinem Essay „Gli anni Venti in URSS ed Europa centrale“; Angelo Maggi (Università IUAV di Venezia) schildert die „Fragmented visions“ des Modernismus in England und dessen Vermittlung durch Zeitschriften und Verlage; Francesca Calace, Anna Bruna Menghini und Giuseppe Resta (Politecnico di Bari) behandeln in einem gemeinsamen Beitrag den Rationalismus auf dem Balkan („Il razionalismo nei Balcani: il problema dell’identità architettonica in una complessa geografia culturale“); Silvia Malcovati (Fachhochschule Potsdam – Studiengang Entwurf und Städtebau) konzentriert sich auf  „Il Razionalismo italiano e l’architettura della città“; Ute Poerschke (Pennsylvania State University) legt mit ihrem zweiten Beitrag „Vom landschaftsorientierten Siedlungsbau zum Zeilenbau: Städtebau in der Weimarer Republik“ das Augenmerk auf die deutsche Urbanistik nach dem Ersten Weltkrieg; Rainer Schützeichel (ETH Eidgenössische Technische Hochschule Zürich) erweitert das Thema mit seinem Essay „Zeile um Zeile: Der Siegeszug einer Typologie im funktionalistischen Siedlungsbau der Zwischenkriegszeit“; Elio Trusiani (Università degli Studi di Camerino) blickt auf die ehemalige italienische Kolonie Eritrea („La pianificazione urbanistica di Asmara con relativi piani e progetti dal 1936 al 1941“); Paola Ascione (Università degli Studi di Napoli Federico II – Fachbereich Architektur) berichtet über „Updating e tutela del patrimonio moderno tramite un approccio “responsabile” alla riqualificazione di un quartiere d’autore non vincolato“. Waltraud Kofler Engl, Direktorin des Amtes für Bau- und Kunstdenkmäler des Landes Südtirol, beschreibt abschließend den politisch aufgeladenen Rationalismus in Bozen („Der Rationalismus und die Stadterweiterung des faschistischen Ventennio in Bozen“).

Bereichert wird das Buch durch Foto- und Archivmaterial, das von den Autorinnen und Autoren, vom Amt für Bau- und Kunstdenkmäler der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, vom Stadtarchiv Bozen, dem Politecnico in Turin, dem Privatarchiv Franco Tagliarini in Rom, dem Archiv Miori in Bozen, den Fotografen Florian Castiglione, Stefan Olah, Stefano Topuntoli und Giovanni Fasanella, dem Kulturattaché der Italienischen Botschaft in  Asmara, zur Verfügung gestellt wurde.

Folgende Institutionen haben das Projekt unterstützt: Università Roma La Sapienza – Fachbereich Planung, Design, Technologie in der Architektur; Fachhochschule Nordwestschweiz – Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik; Politecnico di Milano – Fachbereich Architektur und Städtebau;  Università IUAV di Venezia; Politecnico di Bari; Fachhochschule Potsdam – Studiengang Entwurf und Städtebau; Università  degli Studi di Camerino; Università degli Studi di Napoli Federico II Fachbereich Architektur; Amt für Bau- und Kunstdenkmäler, Autonome Provinz Bozen-Südtirol;

Die Verwirklichung des Buches „Luoghi del Moderno – Klares Bauen 1920-1950” wurde ermöglicht dank der Unterstützung der Autonomen Provinz Bozen – Abteilung Italienische Kultur, der Autonomen Region Trentino-Südtirol; der Stadtgemeinden Bozen und Meran, der Stiftung Südtiroler Sparkasse, und des Hotels Siegler im Thurm in Untermais und der Firma Martone, Meran und Bozner Kunstauktionen, Branzoll.

 

Bilder

COVERBILD: Die Wendeltreppe des De La Warr Pavillions von Erich Mendelsohn und Serge Chermayeff, Ansicht von unten, 1935.

Maurice Braillard, Bergstation der Seilbahn von Salève, 1931-32 (aus: Fondation Braillard Architectes, Maurice Braillard Pionnier Suisse de l’architecture modern 1879-1965, Fondation Braillard Architectes éditeur, 1993, S. 41).

Eine Ansicht der Weissenhofsiedlung aus dem Jahr 1927 von der Rathenaustraße aus (Weissenhofmuseum Stuttgart).

Erich Mendelsohn, Textilfabrik Krasnoe Znamija („Rote Fahne”), Leningrad, 1926 / 30er Jahre (Quelle: Trier Mørch Andreas / Nikitin Juri, The Unknown Peterburg, Royal danish Academy of Fine Arts School of Architecture, Kobenhavn 2003).